Die Anfänge vom Jugendrotkreuz im Altkreis Wittlage und die erste Gruppenfahrt nach Bolbec in Frankreich
In den 1960er Jahren gab es im Altkreis Wittlage für Jugendliche und Heranwachsende im Vergleich zum heutigen Angebot nur wenige Möglichkeiten für Freizeitaktivitäten. Das Jugendrotkreuz (JRK) leistete hier echte Pionierarbeit. Es gab bei den Kirchengemeinden noch den CVJM (Christlicher Verein Junger Männer), die Pfadfinder und die Fußballvereine. Tennis als Breitensport war noch nicht entwickelt, die Jugendfeuerwehren gab es noch nicht.
So waren Kinder und Jugendliche begeistert bei der Sache, wenn sie von den Eltern die Erlaubnis bekamen, um zum JRK zu gehen bzw. mit dem Fahrrad zu fahren. Die Eltern hatten meist noch kein eigenes Auto und konnten ihre „Schützlinge“ nicht zum JRK-Treff in der einstigen Linner Schule fahren. In dieser neu erbauten zweiklassigen Volksschule alter Prägung gab es trockene Kellerräume, die von der damals selbstständigen Gemeinde Linne dem JRK zur Verfügung gestellt wurden. Einst war Lehrer Werner Reller dem JRK sehr verbunden. Später übernahm die Leitung der JRK-Jugendgruppe langjährig Rolf Höcker, der trotz seiner körperlichen Behinderung die ihm anvertrauten Jugendlichen mit unterschiedlichen Aktivitäten beschäftigen konnte. Es gab einen guten Zusammenhalt in der Jugendgruppe. In den 1970er Jahren ließ das Interesse an der JRK-Arbeit nach. Rolf Höcker war später einige Jahre auch ehrenamtlicher DRK-Kreisgeschäftsführer.
Vom 30. Juli bis zum 6. August 1966 führte das Jugendrotkreuz Wittlage unter Führung des damaligen DRK-Kreisgeschäftsführers Hans-Eberhard Dreinhöfer, der zugleich hauptamtlicher Kreisjugendpfleger bei der Kreisverwaltung Wittlage war, eine Gruppenfahrt nach Bolbec in der französischen Normandie durch. Die Partnerschaft zwischen Bolbec und dem Altkreis Wittlage war noch im Entwicklungsprozess; sie wurde formell erst 1970/71 durch Urkunden besiegelt. Viele der 14 bis 17jährigen Jugendlichen waren zuvor noch nie im Ausland gewesen, schon gar nicht Frankreich. Immerhin betrug die Entfernungsdistanz damals wie heute rund 800 km. Früher waren die Reisefahrzeuge noch nicht so leistungsstark und bequem wie heute. Und Reisefreiheit gab es damals noch nicht, weil die Europäische Union noch im Werden war. Also gab es Grenzkontrollen bei der Ein- und Ausreise, im Transitland Belgien und in Frankreich. Dies kostete Zeit und alle Gruppenmitglieder mussten die gültigen Reisedokumente vorweisen. Heute gibt es keine Grenzkontrolle und keine Schlagbäume auf dem Weg vom Wittlager Land in die französische Partnergemeinde Bolbec. Im Jahr 1966 dauerte die Anreise eineinhalb Tage mit einer Zwischenübernachtung auf einem Zeltplatz in der Nähe von Charleroi.
Rund eine Woche war die Jugendgruppe in Bolbec. Die Anreise erfolgte mit einem 20er Rundhauber-Kleinbus des damaligen Busunternehmers Ernst bzw. später Egon Schlüter. Die Betriebsstätte befand sich unmittelbar am Friedhof Bad Essen. H.-E. Dreinhöfer begleitete die Gruppe mit der DRK-Frauenbeauftragten Grete Pannenborg in einem Vw-Bulli des DRK mit Anhänger, auf dem die Zelte verlastet waren. Nach der 1 ½ tägigen strapaziösen Anfahrt erreichte die Gruppe Bolbec und die Verantwortlichen dort wiesen den örtlichen Sportplatz als Zeltplatz zu. Der Omnibus alter Prägung wurde von Ewald Uhlmann gefahren. Die Gruppe wurde begleitet von Harald Pingel, damals junger Lehrer an der Volksschule in Bad Essen. Nur Harald Pingel und H.-E. Dreinhöfer sprachen französisch und mussten für die Jugendlichen vielfach übersetzen, denn diese waren mit der Landessprache im Gastland nicht vertraut. Höhepunkt der Reise war eine Tagesfahrt nach Paris. Für die Jugendlichen, die in der Mehrzahl zum ersten Mal in ihrem Leben überhaupt im Ausland waren, sind die Eindrücke noch heute tief verwurzelt. Sicher gab es anfangs noch Vorbehalte gegen die Gruppe aus Deutschland, denn die Zeit des Zweiten Weltkrieges mit den unzähligen Opfern gerade auch in der Normandie waren noch nicht verarbeitet. Durch das Jugendrotkreuz aus dem Wittlager Land wurde vermutlich damals ein wesentlicher Beitrag für die jetzige über Jahrzehnte gefestigte Partnerschaft gelegt.
Bei den Jugendlichen der JRK-Gruppe, die Bolbec als erste Jugendgruppe besuchte, war Günter Harmeyer, heute stellvertretender Vorsitzender im DRK-Ortsverein Bad Essen, dabei. Als Bürgermeister der Gemeinde Bad Essen hat er in seinem späteren Berufsleben die Partnerschaft Bolbec-Wittlage nach Kräften gefördert. Er hat eine Namensliste aller Teilnehmer von einst sowie Erinnerungsfotos zur Verfügung gestellt.
Die Teilnehmer waren: Hans-Eberhard Dreinhöfer, Harald Pingel, Grete Pannenborg, Rita Wehr, Georgia Wehr, Rolf Höcker, Gustav Schoster, Edeltraud Bartz, Marga Basler, Gudrun Prange, Günter Harmeyer, Gabriele Kreuzmann, Brigitte Kreuzmann, Ulrich Pape, Hermann Stiegemeyer, Klaus Höcker, Dieter Wolf, Wolfgang Finke, Friedel Brand, Heiner Finkbeiner, Ilona Lubinzki, Ewald Ullmann (Busfahrer). Die Namensliste ist in alter alt-französischen Schreibschrift gefertigt, deren kunstvolle Buchstaben heute nur noch schwer zu lesen sind.
Weil die erste Fahrt so großen Anklang fand wurde in den beiden folgenden Jahren ebenfalls eine Fahrt vom Jugendrotkreuz aus dem Altkreis Wittlage nach Bolbec organisiert. Die jungen Rot-Kreuz-Helfer waren somit sicherlich „Türöffner“ für die deutsch-französische Partnerschaft. Das Wittlager Jugendrotkreuz hat somit ein Stück Zeitgeschichte geschrieben.
Die Fotos und Dokumente stammen aus den Privatsammlungen von Günter Harmeyer, Eielstädt und Gilbert Crochemore, Wehrendorf (geboren in Bolbec).
Text und Fotos (Repro)
Eckhard Grönemeyer